Hallo, ihr Lieben,
in vertraulicher Runde, gestärkt von einer leckeren Suppe, haben wir viele Facetten von Enttäuschung gehört, wie sie sich z.B. in Wut, Trauer, Frustration, Rückzug oder anderen unangenehmen Gefühlslagen ausdrückt. Enttäuschung ist ein durchaus gesunder Mechanismus. Denn wir erleben in unserem Alltag ständig Enttäuschungen. Es ist erwartbar, dass sich die Zukunft anders entwickelt, als wir sie uns vorgestellt haben. Gleichzeitig habe ich noch niemanden davon sprechen hören, dass es eine Enttäuschung sei, dass eine Situation sich schöner entwickelt hat als gedacht. Enttäuschungen sind in der Regel mit dem Misslingen bzw. einem ungünstigeren Verlauf verbunden und in diesem Zusammenhang eben auch mit den damit verbundenen verletzten Gefühlen.
Zum Glück können wir in vielen Situationen die Enttäuschungen des Alltags ohne größere Anstrengung ablegen. Wenn ich z.B. morgens zum Bäcker gehe und mich auf mein Lieblingsbrötchen freue, dann bin ich enttäuscht, wenn es schon aufgebraucht ist. Enttäuschung als Signalgeber führt mir dann womöglich meine Sehnsüchte und Träume vor Augen, macht mir bewusst, was ich vermisse, was ich gerne mag. Und vielleicht gelingt es mir ja, die Energie eines solchen Moments für mich zu nutzen. Z.B. die Energie, die durch Frustration freigesetzt wird und sie als Chance sehen, heute mal eine andere Sorte auszuprobieren. Kreativ zu werden.
In einer der Geschichten von gestern war die Enttäuschung ähnlich gelagert. Immer wieder im Kleinen erlebt die Protagonistin Enttäuschungen, die sie darin bestärken, ihren eigenen Weg zu verteidigen. Sie hat für sich früh erkannt, wie wertvoll ein konstruktiver Umgang mit Enttäuschungen ist. Sie hat für sich anerkannt, dass es wenig Sinn macht, zu viele Vorannahmen zu treffen. Damit wirkt sie aktiv größeren Enttäuschung entgegen. Vielmehr noch: Dadurch ist sie heute schneller imstande, ihre (Enttäuschungs-)Energie in kreative Lösungsansätze zu stecken, wenn Enttäuschung ihren Kampfgeist weckt.
Nicht jede/r von uns kann die Wut, die mit Enttäuschung einhergehen kann, derart produktiv kanalisieren. Zu leicht kann eine Zurückweisung oder Zurechtweisung dazu führen, dass man von sich selbst enttäuscht ist, weil man nicht das von sich zeigen konnte, was man sich selbst oder andere von einem gewünscht hatten. Das wirkt sich womöglich in direkter Form auf meine Bindungsfähigkeit aus. Wenn ich in vielen Situationen die Gefahr sehe, mich falsch zu verhalten, vermeide ich u.U. den Kontakt zu anderen, aus Sorge, sie zu enttäuschen.
In einer der Geschichten des Abends hat sich über viele Jahre womöglich ein Muster unausgesprochener Enttäuschung aufgebaut. Die Enttäuschung darüber, sich in ein Korsett aus Konventionen pressen zu müssen (“wie man es machen soll; wie man sich benehmen soll”). Die Enttäuschung darüber, dass es auch dann nicht möglich ist, sich verletzlich zu zeigen, wenn der emotionale Schmerz extrem groß ist. Unter diesem einengenden Rahmen stellen wir uns eine Familie gemeinsam am Essenstisch vor. Ich finde, es gehört dazu, dass dabei diskutiert wird, durchaus Unstimmigkeiten entstehen, vielleicht auch mal ein Streit entsteht. Enttäuschung entstand in diesem Rahmen nicht, weil Gefühle wie Wut, Angst und Trauer keinen Ausdruck fanden. Nein, Enttäuschung entstand, weil diese Gefühle keinen Resonanzraum bekamen. Weil ihnen z.B. mit ablenkenden Maßnahmen begegnet oder die Gefühle abgewertet wurden. Für mich ist nicht verwunderlich, dass sich Beteiligte dieser Situation teilweise mit ihren Gefühlen allein gelassen fühlten. Vielmehr noch war manchmal der einzige Ausweg, den Raum zu verlassen, um sich vor der Enttäuschung unerfüllter Bedürfnisse zu schützen. Und in der Flucht ins eigene Zimmer wartete die nächste Enttäuschung. Keiner kam, und die Person blieb allein mit ihren Gefühlen.
Eine weitere Geschichte des Abends war von ihrer Ausprägung ähnlich wie die vorige. Enttäuschung entstand hier, weil etwas Wichtiges vergessen wurde und keiner damit gerechnet hat, dass diese Situation eintritt. In dieser Situation lag Traurigkeit und Wut im Raum. Wut über die Vermeidbarkeit des Fehlers und Trauer über die Konsequenzen des Fehlers. Was nicht zum Ausdruck kam, war das Gefühl des Sich-Schuldig-Fühlens und vielleicht auch des Sich-Entschuldigt-Fühlens. All das musste nach einem spontanen Wutausbruch jeder in Stille mit sich selbst vereinbaren. Die damit verbundene Trauer bekam keinen gemeinsamen Resonanzraum. Dadurch entstand ein Gefühl von Einsamkeit. Diese aufzulösen und sich gegenseitig in seiner Enttäuschung zu sehen und anzunehmen, hätte sich in dieser Situation der Protagonist gewünscht.
Neben den kleinen Enttäuschungen des Alltags, wurde an diesem Abend auch eine Geschichte geteilt, deren Komplexität nur schwer erfasst werden kann. Sie handelt von einem tragischen Ereignis, das das Leben des Protagonisten in dramatischer Weise veränderte. Die Enttäuschung auf diesem Monate andauernden Leidensweg lag darin, dass seine nächststehenden Angehörigen ihn am Krankenbett nicht besuchten. Die Verbitterung, die sich im Laufe der Zeit einstellte, führte beim Protagonisten sogar zu starken Gefühlen von Ekel und Hass. Ich kann mir gut vorstellen, dass hier ein Prozess der Umkehr von anfänglich selbst abwertenden, hin zu fremd abwertenden Zuschreibungen angestoßen wurde. Mit zunehmender Zeit wandelt sich mein Wording vielleicht von “Ich bin nichts wert, weil mich keiner besucht” über “Anderen geht es noch schlechter als mir, hör auf zu leiden” hin zu “Andere sind nicht fähig mir zu geben, was ich brauche”. Unaufgelöst und unausgesprochen wirken solche Gefühle von Enttäuschung derart stark, dass sie wie beim Protagonisten nur noch durch einen Beziehungsabbruch gelöst werden können. Damit schützte er sich vor der überwältigenden Enttäuschung.
Ich für mich nehme aus den Geschichten mit, dass es wichtig ist, Enttäuschung als einen erwartbaren Zustand anzunehmen und sie hinter dem an der Oberfläche befindlichen Gefühlsausdruck durchaus zu hinterfragen. Das führt schneller zur Erleichterung. Auch finde ich wichtig, seine Enttäuschung kenntlich zu machen, ohne dass andere sich schuldig fühlen. Am Ende hat Enttäuschung immer etwas mit mir und meiner Erwartung an die Zukunft zu tun.
Bleibt noch zu sagen: Bis zum nächsten Mal in der Kulturküche. Habt eine gute Zeit. Ich freue mich schon jetzt auf einen weiteren Abend mit euch im vertrauten Kreis.
Es grüßt euch herzlich euer Daniel