Heute darf ich euch wieder begrüßen zu unserem nächsten Megafon-Blog-Beitrag vom Erzählabend am 31.10.22 zum Thema „Scham“. Wir haben uns an diesem Tag in kleiner Runde eingefunden, um uns nach einer leckeren Suppe diesem für viele unangenehmen Gefühl zu öffnen. Schon im Vorfeld auf diesen Abend habe ich aus einigen Richtungen das Feedback bekommen, dass es so wichtig ist, über Scham zu sprechen. Das hat uns in der Wahl dieses Themas sehr bestärkt.
Denn Scham ist allgegenwärtig und sie ist facettenreich. Sie taucht auf und bringt uns durchaus aus dem Gleichgewicht. Sie macht uns sprachlos oder verlegen. Sie lässt uns an uns selbst zweifeln und führt nicht selten zur Selbstabwertung. Und gleichzeitig ist sie ein wichtiger Signalgeber dafür, ob wir uns in einer Situation wohl fühlen. Sie zeigt uns an, dass wir womöglich angegriffen sind, weil wir durch sie unser Wertesystem infrage stellen. Vielleicht ließe sich auch sagen, dass Scham uns unsere Würde verletzen lässt. Durch solche Trigger sehen wir uns womöglich veranlasst, uns vor der eigenen Entwürdigung zu schützen.
Ich habe an diesem Abend gehört, dass Scham immer dann auftaucht, wenn ich in gedanklich meinen Selbstwert angreife. Sie hat etwas mit mir und meinem Umgang mit mir selbst zu tun. Sie führt dazu, dass ich mich minderwertig behandle, dass ich mich beispielsweise als dumm, unfähig oder feige bezeichne. Sie führt dazu, dass ich mich selbst als Person abwerte oder lässt in mir das Gefühl entstehen, dass ich nicht gut genug oder falsch bin. Sie sorgt dafür, dass ich mich klein mache, vielleicht sogar, dass ich mich einsam fühle.
Wenn ich das hier Revue passieren lasse, merke ich, dass Scham unvergleichbar schädigend sein kann. Mir ist noch nicht klar, warum so wenige Menschen nur schwer in der Lage sind, sich von diesen entwürdigenden Handlungen sich selbst gegenüber frei zu machen. Vielleicht auch, weil ich und auch andere an diesem Abend zum ersten Mal in der Tiefe mit anderen Geschichten geteilt haben, in denen sie Scham verspürt haben. Sie haben womöglich zum ersten Mal gewagt, die erlebte Scham mit ihrer zugrundeliegenden Innensicht zum Ausdruck zu bringen. Ich kann nur von mir sprechen, wenn ich sage, dass ich an diesem Abend Erleichterung erfahren habe. Denn Scham nistet sich überall dort ein, wo sie unausgesprochen ist und bleibt dort, bis man sich ihr ausgesprochen zuwendet. Manchmal ist es hilfreich, sich selbst liebevoll in seiner Scham zu begegnen. Wenn das nicht ausreicht, löst sie sich z.B. durch das Aussprechen einem Freund oder einer Freundin gegenüber auf. Scham mag es nicht, wenn man über sie spricht. Diese befreiende Wirkung konnte ich an diesem Abend für mich erfahren.
Was ich auch gehört habe, ist, dass Scham nicht selten Ängste hervorruft. Ich thematisiere meine Scham nicht, weil ich z.B. Angst davor habe, dadurch den Anschluss zu einer Gruppe zu verlieren, weil ich Angst davor habe, anderen damit ein verletzendes Gefühl zu überreichen oder weil ich Angst davor habe, von anderen für mein Schamgefühl beurteilt zu werden. Es ist schon krass mitzufühlen, wie wirkmächtig solche Gedanken sind. Sie ängstigen mich und sorgen womöglich dafür, dass ich nicht in der Lage bin, mich zu regen, mich zu bewegen, dass ich mich abwende oder dass ich sogar andere angreife, weil ich mich schützen möchte. Umso wichtiger ist es, dass Menschen sich trauen, diese Gefühle sichtbar und hörbar für andere zu machen, damit sie wieder Aufrichtung erfahren.
Ich fand es bemerkenswert, wie in der Runde klar wurde, dass ein solcher Umgang mit sich selbst auf Dauer gesundheitsschädigend sein kann. Und umso ermutigender empfand ich es, dass auch Geschichten erzählt wurden, in denen es darum ging, wie ich diesen Zustand der Selbstverletzung verlassen kann. „Behandle dich wie deinen besten Freund“ war eine der Perspektiven, die womöglich einen sehr wirkungsvollen Umgang mit sich selbst repräsentierten.
Mir wurde an diesem Abend klarer, wie wichtig es ist, in schambehafteten Momenten Empathie zu erfahren. Eine Möglichkeit mag sein, sich selbst wieder aufzuwerten. Zu sich selbst sagen zu können, ich bin gut so wie ich bin. Eine andere Möglichkeit besteht z.B. darin, den Kontext der Situation für mich zu erweitern. Je mehr ich den Raum mit hypothetischen Gedankenspielen vergrößere, desto mehr schütze ich mich womöglich vor einer einseitigen Sichtweise auf die Situation. Das führt vielleicht dazu, dass ich weniger nach Ursachen an mir suche. In dieser Hinsicht spielte für viele in der Runde Humor eine wirkungsvolle Rolle. Wenn ich in der Lage bin, mir Konstellationen auszumalen, die trotz ihrer Absurdität auch möglich wären, verlieren die verletzenden Szenarien an Wirkkraft. Wichtig ist, Scham als Signalgeber ernst zu nehmen, damit ich überhaupt erkenne, dass ich gerade in „Not“ bin und mich in irgendeiner Form nach Aufwertung sehne. Und gerade, wenn ich kein augenscheinlich vertrauensvolles Gegenüber in meiner Nähe habe, ist es u.U. wichtig, mich selbst als Handelnden zu begreifen.
Zum Schluss möchte ich mich noch von Herzen bei all denjenigen bedanken, die sich diesem herausfordernden Thema gestellt und mutig ihre Geschichten mit allen geteilt haben. Ich wage an dieser Stelle die Prognose, dass wir nicht das letzte Mal einen Erzählabend zum Thema “Scham” organisieren werden. Wir freuen uns, wenn durch die gegenseitige Zuwendung mehr Leichtigkeit in den Umgang mit der eigenen Scham kommt. Zuletzt möchte ich mich noch beim Team der Kulturküche für die leckere Mahlzeit bedanken und freue mich schon jetzt auf einen weiteren Abend im vertrauten Kreis mit euch.
Bis zum nächsten Mal in der Kulturküche. Habt eine gute Zeit.
Es grüßt euch herzlich euer Daniel.